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Acta Theologica
On-line version ISSN 2309-9089
Print version ISSN 1015-8758
Acta theol. vol.38 suppl.26 Bloemfontein 2018
http://dx.doi.org/10.18820/23099089/actat.sup26.18
ARTICLES
Schwarz bin ich und schön - rhetorische ironie im hohelied1
Black am I and beautiful - rhetorical irony in Song of Songs
S. Fischer
University of Vienna, Protestant Faculty of Theology, Austria; Research associate University of the Free State, South Africa. E-mail: stefan.fischer@univie.ac.at
ABSTRACT
This article argues for an ironic understanding of Song of Songs 1:5-6. The linguistic irony carries a second meaning contrary to the first more obvious one, being expressed as verbal and situational irony. The rhetorical structure and the figures of speech are analyzed. The stereotype conceptualizations of "blackness" and "beauty" in the Old Testament are evaluated. It is demonstrated that she boasts of being black and beautiful. The text is explained by the stylistic device of rhetorical irony. This leads to the result that she is also a city woman and that the vineyard-episode with her brothers (1:5-6) cannot be understood as a serious explanation for her skin colour, as it commonly happens. Perhaps she is associated with Pharaoh's daughter. Finally, the second conflict with her brothers (8:8-12) is taken into account and it is shown how the "Kipp-Phänomen" is used to turn around the expectations of those involved in comic and irony.
Keywords: Old Testament, Irony, Poetics, Song of Songs, Egypt
Trefwoorde: Ou Testament, Ironie, Poësie, Hooglied, Egipte
1. SCHWARZ BIN ICH UND SCHÖN (1:5-6)
In 1:5-6 findet sich die Selbstbeschreibung einer Frau „schwarz und schön zu sein". Daraus ist auf ein dunkelhäutiges Aussehen zu schliessen. Da die Frau jedoch angibt, dass ihre Brüder sie zwangen in Weinbergen zu arbeiten und sie dabei von der Sonne verbrannt wurde, wird ihre Aussage gewöhnlich als sonnengebräunte Haut einer hellhäutigen Frau verstanden (z. B. Hopf 2016:94). Im Folgenden werde ich ausführen, dass sie in der Tat eine natürliche schwarze Hautfarbe hatte, sie dieses jedoch ironisch begründet.2
5 Schwarz bin ich und schön,Töchter Jerusalems, wie die Zelte Kedars, wie die Vorhänge Salomos.
6 Starrt mich nicht an, dass ich tiefschwarz bin, dass mich die Sonne verbrannt hat!
Die Söhne meiner Mutter waren mit mir zornentbrannt. Sie machten mich zur Hütenden der Weinberge. Meinen eigenen Weinberg hütete ich nicht.
2. STRUKTUR UND INHALT VON 1:5-6
2.1 Eine szenische Erzählung in poetischer Struktur
Mit 1:5 wird eine neue Stanza eröffnet, welche die Verse 5 und 6 umfasst (Roberts 2007:59). Inhaltlich gibt diese eine Szene wieder. 1:5 besteht aus einem Nominalsatz, einem Vokativ und zwei mit eingeleiteten, parallel strukturierten Vergleichen (cf. Watson 2001:258). In 1:6 folgt auf den Jussiv „starrt mich nicht an", ebenfalls ein Nominalsatz.
Der inhaltliche Zusammenhalt wird durch die zwei Referenzen zur Hautfarbe (1:5) und (1:6a), gewahrt, welche einen Chiasmus bilden
Dieses führt dazu, dass sich beide Sätze durch die Stellung des Personalpronomens unterscheiden. Eine weitere chiastische Struktur findet sich in 1:6 (cf. Watson 2001:207):
Indiesergeschlossenen,symmetrischen Struktur werdendieHandlungen der Brüder und derFrau koordiniert und die Handlungender Frauund der Brüder antithetisch herausgestellt. Diese Struktur entspricht der inhaltlichen Wende, die sichimLebenderFrau vollzogenhat undbildet den Abschluss der Szene. Die verschiedenen Sprachfiguren zeigen an, dassessichum einenpoetischenTextmiterzählendemCharakterhandelt. Dapoetische Texte weniger referentiellsindalsnarrative,trittnebendie fortlaufende, syntagmatische Leseweise die paradigmatische, so dass der LeserdurchSelektionundKombination eigeneSinnzusammenhänge erstellt (Jakobson 1972:149). Dieses Prinzip ist besonders in Erinnerung zu rufen, da hier ein Plot konstruiert werden kann.Häufig wirddieser alsKonfliktmit den Brüdern3 angesehen,derim Schlusskapitel seine Fortsetzung findet (z. B. Gerhards 2010:323). Hierbei wird von einer Figurenkontinuität ausgegangen, so dass die Schlussszene als eine Erklärung für die Aussage der Frau, ihren eigenen Weinberg nicht bewahrt zuhaben (1:6b),interpretiertwird. Eswürdesichdannumihrpersönliches Vergehen handeln, für das sie von ihren Brüdern gestraft wurde. Dieser Plot ist derAuslegungsgeschichtein einengrösseren Erzählzusammenhang eingebettet worden. Sowirdin verschiedenenVariationen eine Story geschaffen, in der sie als eine Frau vom Lande, auf unbekannte Weise an den Hof des Königs kam (1:2-4) und wegen ihrer sozialen Herkunft und ihreräusserenErscheinung gegenüberden Töchtern Jerusalemseine niedrigeresozialeStellung innehat.Ewaldnennt dies eine Spieldichtung fürdieBühne(Ewald 1867:333), wobei dasSpielals Aufführungsform überden Text hinausgeht,da sich dieser auchalsRezitation vorgestellt werden kann.
Über die Methode dieser Leseweise erfolgt in der Regel ebensowenig eine Reflektion wie über die verwendeten Stilmittel der Sprache. Eine Ausnahme stellt Hopf dar, welcher Drama und dramatischen Text unterscheidet, und das Hohelied als einen dramatisch-performativen Text auffasst, der sich als szenisch eingerichteter Text darstellen lässt (Hopf 2016:402-411). Im Folgenden soll aufgezeigt werden, wie sehr der Leser solch eine Leseweise konstruiert und durch die Verwendung der Trope der Ironie ein anderes Verständnis erschlossen wird.
2.2 Adressat: Die Töchter Jerusalems
Die Frau wendet sich im Vokativ an die Töchter Jerusalems. Sie werden hier das erste Mal erwähnt und im Verlauf des Buches zum häufigsten Adressaten der Frau. Die Frau befindet sich unter den Töchtern Jerusalems und nimmt unter ihnen eine Sonderstellung ein.
Viermal wendet sich die Frau in einer Beschwörungsformel an die Töchter Jerusalems und versichert sich so ihrer Zuwendung, um die Liebesbegegnung mit dem Geliebten ungestört auskosten zu können (2:7; 3:5; 8:4) oder den Geliebten wieder zu finden (5:8). Die Töchter Jerusalems unterstützen die Frau bei der Suche nach dem Mann, auch wenn sie in einer mit einem ironischem Unterton versehenen doppelten Frage, die Frau in einer zwischen Ernsthaftigkeit und Stichelei schwankenden Anrede als „schönste unter den Frauen" adressieren (5:9; 6:1; cf. Barbiero 2011:284). Die Frau schliesst ihre Antwort mit einer direkten Anrede der Töchter Jerusalems ab (5:16). Das Verhältnis zu den Töchtern Jerusalems bleibt positiv wertschätzend.
Als der König Salomo durch die Wüste heraufzieht, werden die Töchter Jerusalems (3:10.11), bzw. die Töchter Zions (3:12), ebenfalls angesprochen. In verkürzter Form „Töchter", ohne Ortsnennung, finden sie in 2:2 und 6:9 Erwähnung. Sie stehen im Kontrast zur Geliebten des Mannes (2:2) oder parallel zu den Königinnen und Nebenfrauen Salomos (6:9), so dass der Ort Jerusalem evident ist. Es liegt nahe, dass hier ebenfalls die Töchter Jerusalems gemeint sind.
In allen Zusammenhängen nehmen die Töchter Jerusalems eine positive Rolle ein. Davon sollte demnach auch bei 1:5 ausgegangen werden.
Manchmal werden „die jungen, unverheirateten Frauen (; 1:3) mit den Töchtern Jerusalems gleichgesetzt (Thöne 2012:112). Sie schwärmen vom König und befinden sich in seinem Umfeld (6:8), vielleicht im Harem (cf. Waterman 1948:10; Stoop van Paridon 2002:521). Da sie nur eine referentielle Funktion haben (Hopf 2016:73), können sie hier vernachlässigt werden, auch wenn sie ebenfalls unterstützend, lobpreisend charakterisiert werden.
2.3 Die Selbstbeschreibung "schwarz und schön"
Der Nominalsatz „schwarz [bin] ich und schön" eröffnet in direkter Rede eine doppelte Selbstbeschreibung (1:5)4„schön" kann auf die Wurzel „schön sein" bzw. „begehrenswert sein"5 zurückgeführt werden, so dass eine Übersetzung mit „attraktiv" treffend ist. Wenn hier der klassischen Übersetzung „schön" der Vorzug gegeben wird, so geschieht dieses, um durch die Alliteration „schwarz und schön" dem poetischen Gehalt Ausdruck zu verleihen (cf. Thöne 2012:114).
Das Prädikat „schwarz" ist dem Subjekt „ich" vorangestellt. Dadurch liegt der Nachdruck auf der neuen Information.6 Die Selbstbeschreibung wird in den letzten beiden Tricola in zwei Vergleichen ausgeführt. Dabei sind zwei verschiedene Zuordnungen möglich:
1. Die letzten beiden Tricola beziehen sich als synthetischer Parallelismus auf den ersten Tricolon zurück. Schwarz und schön würden sich gleichermassen auf die Zelte Kedars und die Zeltdecken Salomos beziehen. Die Frau hätte mit den Zelten Kedars und den Zeltdecken Salomos7 gemeinsam, schwarz und schön zu sein.
Dieser Parallelismus wäre dort naheliegend, wo nicht einer Vokalisation „Salomo" sondern einer Vokalisation „Schalmah" gefolgt wird, so dass mit Kedar und Schalmah zwei Beduinenstämme der arabischen Wüste erwähnt würden. Obwohl der Parallelismus der Beduinenstämme plausibel ist, findet er in keiner der alten Versionen Unterstützung (zur Diskussion cf. Fischer 2010:24).
2. Es handelt sich um einen dreigliedrigen Satz, in welchem die letzten beiden Tricola jeweils durch die Vergleichspartikel (?) koordiniert werden (cf. Watson 2001:181). Die Qualitäten schwarz und schön werden so auf zwei verschiedene Objekte verteilt:
Schwarz bin ich wie die Zelte Kedars.
Schön bin ich wie die Zeitdecken Salomos.
Die Konstruktion trennt zwar die Qualitäten, verbindet sie aber in ihrem Effekt (Fishbane 2015:34), so dass die Kohäsion durch den doppelten Rückbezug gestärkt und der Vers thematisch abgeschlossen wird. Damit ergibt sich ein auffälliger Gegensatz zwischen den dunklen Beduinenzelten des ländlichen Raums und den städtisch-luxuriösen Zeltdecken Salomos, die für Schönheit und Luxus stehen können. In beiden Vergleichen verbinden sich die Schwärze der Frau mit dem ländlich-beduinischen und ihre Schönheit mit dem städtisch-königlichen Raum.
2.3.1„Schwarz" und „weiss" als Stereotypen
Die Farbe schwarz ist im Alten Testament sowohl positiv (5,11; vgl. Eccl 11:10; Lev 13:37; Hi 30:28-30; Klgl. 4,7-8) als auch negativ (Lev 13:31) konnotiert. Graues Haar ist Zeichen des Alters (1 Sam 12:2; Ps 71:18; Jes 6:4: Hos 7:9).
Die Schönheit der Frau wird in den Beschreibungsliedern und anderen Vergleichen aufgegriffen (4:3; 6:7-10). Alle Vergleiche gehören in den Bereich des Weissen, Hellen. Nur das Haar ist dunkel, purpurn gefärbt (7:6). Gesamthaft wird die Ästhetik ihrer Erscheinung gepriesen. Dieses ist analog zu Beschreibungen in ägyptischen Liebesliedern, in welchen das schwarze Haar und die weissen Zähne der Frau gepriesen werden (Chester Beatty.The Louvre C 100 Love Song. Cf. Fox 1985:408; White 1978:189-190). Es ist auffällig, dass die Schönheit der Frau nirgends ausser in der Selbstbeschreibung von 1:5 mit schwarz in Verbindung gebracht wird. Ihre anderen Selbstbeschreibungen nehmen florale (2:1) und bauwerkliche Elemente (8:10) auf, welche Schönheit und Wehrhaftigkeit bzw. sexuelle Reife vermitteln.
Insofern sticht sie als schwarze Schönheit heraus, es sei denn man wolle annehmen, die schwarze Hautfarbe sei das Gegenteil eines schönen Aussehens (cf. Gerleman 1965:100; Thöne 2012:115). Wenn zudem berücksichtigt wird, dass die natürliche Hautfarbe im Nahen Osten bräunlich ist, so war ein weisses Schönheitsideal ebenso wie ein tiefschwarzes exotisch. Folglich liegt es nahe bei der Benennung von Hautfarben nicht nur auf das Schönheitsempfinden zu achten. Neben der Ästhetik kommen andere Faktoren in den Blick.
2.3.2 Selbstruhm: eine schwarze Schönheit
Die Frau vereint beides in sich, Schwärze und Schönheit, sie ist eine schwarze Schönheit - „a striking contrast" (Roberts 2007:58). Während der Vergleich „schwarz bin ich wie die Zelte Kedars" aus dem ländlichen Bereich stammt und ihre Hautfarbe mit den Zelten des Beduinenstammes vergleicht, bringt der zweite Vergleich „schön bin ich wie die Zeltdecken Salomos" die schwarze Schönheit der Frau mit Salomos Decken und somit mit dem Bereich des königlichen Hofs in Verbindung. Salomo besass demnach besonders schöne, dem heutigen Leser nicht bekannte Decken.
Schwärze und Schönheit werden in 1:5 beide positiv verwendet. Dieses hat dort, wo eine helle Hautfarbe als Schönheitsideal angesehen wird (vgl. 6:10 „schön wie der Mond"), dazu geführt, aus der Aussage der Frau einen Gegensatz zu entnehmen, als ob sie sich gegen die angeredeten Töchter Jerusalems wenden würde, so dass die Konjunktion ι adversativ mit „schwarz bin ich, aber schön" übersetzt wird, so wie es bereits in der Vulgata geschieht: „nigra sum sed formosa". So hebt Krinetzki hervor: „Dieses 'Ich' des Landmädchens weiss, dass es gegenüber den Vertreterinnen der grossen Stadt trotz seiner dunklen Hautfarbe keine Minderwertigkeitskomplexe zu haben braucht!" (Krinetzki 1964:90) und Schwienhorst-Schönberger erkennt Verachtung: „Die Töchter Jerusalems schauen auf die Sprecherin ob ihrer dunklen Haut verächtlich herab." (Schwienhorst-Schönberger 2015:42). Garrett schliesst sich einer adversativen Übersetzung an, da die Frau in Bezug auf ihre schwarze Haut eine Verteidigungshaltung einnimmt und meint: „It expresses an underlying fear that she will not attain love because she does not measure up to its standards of feminine beauty." (Garrett 2004:131).
Jedoch ist es naheliegender die Konjunktion 1 koordinierend mit „und" zu übersetzen. Aus 1:5 lässt sich keine negative Wertung ihrer schwarzen Schönheit entnehmen. Im Gegenteil: Die Frau preist ihre eigene Schönheit: Sie ist schwarz und sie ist attraktiv und damit einzigartig. Dessen rühmt sie sich. Van der Zwan (2012: 97) weist auf das damit verbundene Selbstbewusstsein hin. Eine negative Wertung, als wenn die Töchter Jerusalems eine normative Schönheit vertreten würden (Barbiero 2011:60) passt nicht zum sonstigen Auftreten der Töchter Jerusalems. Sie wird entweder durch das Schönheitsideal des Lesers oder von der Fortsetzung des Textes her hier eingetragen. Textintern gibt es keine Herabsetzung durch die Töchter Jerusalems.
Im Gegenteil - wenig später nimmt eine ungenannte Gruppe, welche wegen des Ortswechsels in eine ländliche Gegend wahrscheinlich die Hirten (Barbiero 2011:64), und weder die Töchter Jerusalems noch der Mann sind, ihre Schönheit wieder auf und preisen sie hyperbolisch mit dem Superlativ (Muraoka/Joüon, Grammar, 1993:§141j) als „die Schönste unter den Frauen" (1:8). Obwohl hier, wie in 5:9, Ironie und Bewunderung mitschwingt, kommt es erneut zu keiner negativen Herabsetzung der Frau.
Wenn es sich bei der Frau um eine Person mit natürlicher, schwarzer Hautfarbe handelt, liegt es nahe, dass sie ihr exotisches Aussehen zum Anlass nimmt sich zu rühmen. Dadurch kommt ein Selbstbewusstsein zum Ausdruck: "Black is beautiful". Die Frau hebt ihre Schwärze hervor. Indem sie von den Töchtern Jerusalems oder dem Mann als die Schönste unter den Frauen gepriesen wird, wurde ihre Schönheit nicht nur akzeptiert, sondern von den Töchtern Jerusalems überschwänglich unterstützt.
2.4 Anekdote zur Erklärung der Hautfarbe
Die Frau rühmt ihre äussere Erscheinung, die sie von den anderen Frauen unterscheidet.
Das im Nominalsatz prädikativ verwendete feminine Adjektiv weist eine Verdoppelung von zwei Radikalen auf. Dieses kann zur Hervorhebung (z. B. Ps 45:3: „Schönste"; cf. Gershom 1998:28) oder zur Abschwächung dienen (Lev 13:14; 14:37; Ps. 68:14). Meist wird abschwächend mit „schwärzlich, bräunlich" übersetzt. Diese Übersetzung beruhte auf dem Vorverständnis, die Frau wolle ihre aussergewöhnliche Erscheinung abmildern, da sie diese als minderwertig empfindet und sich dafür entschuldigt (Zakovitch 2004:119). Dem widerspricht jedoch ihr Selbstruhm in 1:5. Das Adjektiv kann auf verschiedene Verbalwurzeln zurückgeführt werden. Obwohl „schwarz werden/sein" dominant ist, können die anderen ebenfalls anklingen, und zwar„suchen/auf-etwas-aus-sein", „bezaubern", „unter Kontrolle bekommen", „weglachen", zurückgeführt werden, so dass sie hier prahlen könnte „sie sei zauberhaft (bezaubernd) schwarzbraun" (Bartelmus 2015:21). Möglicherweise klingt zudem die Morgenröte () an was den Effekt bezaubernder Schönheit verstärken und eine Metapher, die mit „Helligkeit, strahlen" verbunden ist nun auf ihre Schwärze beziehen würde (Bartelmus 2015:21).
Im Anschluss folgt die erste Verbform. Mit einem verneinenden Jussiv ' wendet sich die Frau an die Töchter Jerusalems und fordert sie dazu auf, von ihr abzulassen, sie nicht mehr anzuschauen. Der Jussiv„schaut mich nicht an" kann durch die emphatische Verneinung gesteigert werden, so dass die Frau die Töchter Jerusalems mit „starrt mich nicht an" zurückweisen und in die negative Position von Gaffern rücken würde.8 Wenn die Töchter Jerusalems ihr stets wohlgesonnen sind, so kann ihre Aussage als scherzhafte Zurückweisung verstanden werden. Dieses scheint mir naheliegender, als dass die Frau den Eindruck hätte, es würde auf sie herabgeschaut, so dass ihr Selbstruhm aus der Defensive zu erklären wäre (cf. Fox 1985:302). Die darauffolgende Anekdote über die Entstehung ihrer Hautfarbe fügt sich treffend ein:
Die Söhne meiner Mutter waren mit mir zornentbrannt.
Sie machten mich zur Hütenden der Weinberge.
Meinen eigenen Weinberg hütete ich nicht. (1:6b)
Hier wird innerhalb der poetischen Erzählung der Übergang in die Chronologie der Erzählgegenwart vollzogen (cf. de Regt 1999:275). Die Begegnung der Frau mit den Töchtern Jerusalems findet nicht im Weinberg statt, da von diesem in der Rückblende erzählt wird, sondern im städtischen Umfeld, in Jerusalem. Ob sie im Königshof stattfindet, hängt von der Interpretation des Zusammenhangs ab und wäre im Anschluss an 1:4 möglich. Jedoch sind die Töchter Jerusalems nicht an den Königshof gebunden.
Die Schilderung ihrer misslichen Situation in der Brüdererzählung dient als plausible Erklärung ihrer dunklen Hautfarbe.
Demnach wäre sie auf das Handeln ihrer Brüder zurückzuführen, welche sie zur Arbeit im Weinberg verpflichteten. Das Verb „hüten" ist eine aramäisierende Nebenform zu und wird sowohl konkret als auch im übertragenen Sinn verwendet (cf. Thöne 2012:117). Was vom vorliegenden Text hergesagt werden kann ist, dass es einen scharfen Gegensatz zwischen beiden Weinbergen gibt. Der eigene Weinberg der Frau wird durch das grammatisch unnötige und so wiederholend-verstärkend verwendete , „eigenen, welcher meiner ist" betont. Nicht die Ursache sondern der Effekt wird angegeben: An die Stelle der Selbstverantwortung, ausgedrückt im Bewahren des eigenen Weinbergs, ist die Fremdbestimmung getreten.
Die Erklärung der Schwärze ist banal: Die Zwangsarbeit im Weinberg führte dazu, dass sie der Sonne ausgesetzt wurde und tief gebräunt wurde. Wieso sie in ihrem eigenen Weinberg nicht braun wurde bleibt unerklärt, spricht aber dafür, dass hier kein Metaphernwechsel vorliegt und sie zuvor nicht von einem literalen Weinberg sprach.
In metaphorischen Auslegungen wird das Nichtbehüten des eigenen Weinberges oft als Ursache für die neue Aufgabenzuteilung gesehen. Dieses kann so verstanden werden, dass sie nicht in der Lage war selbstständig auf den Weinberg, der ihr zugeteilt war, aufzupassen und sie nun in den Weinbergen der Brüder, also unter Aufsicht, arbeitet.9Der Weinberg der Frau hingegen wird oft mit ihr selbst gleichgesetzt, die ihr eigenes Fehlverhalten eingesteht (cf. Schwienhorst-Schönberger 2015:44). Dieses Fehlverhalten wird dann sexuell verstanden, wozu die zweite Brüdererzählung mit ihren sexuellen Metaphern, herangezogen wird (8:8-10) und ihr eigener Weinberg in Kontrast zum Weinberg Salomos tritt (8:11-12).
Ob sich die Metapher auf den Körper der Frau, ihre Jungfräulichkeit, oder ihren Geliebten, der nicht mehr bei ihr ist, bezieht, ist unwesentlich. Jedenfalls liegt ein negatives Geschehen vor.
Wie es dazu kam, dass sie sich nicht mehr in diesem Weinberg sondern in der Gegenwart der Töchter Jerusalems befindet, bleibt völlig offen und führte zur Schaffung von Handlungsabfolgen, wie sie in den Dramentheorien des 19. Jahrhunderts populär waren.
Problematisch bleibt zudem, dass die Frau nirgends eine Schuld eingesteht, als ob das Nichtbehüten ihres Weinbergs auf ihr verwerfliches Handeln zurückzuführen sei. Auf der Textebene wird lediglich ausgesagt, dass sie den Weinberg der Brüder hütete und ihren eigenen nicht hütete. Die Zwangsversetzung in den Weinberg unterstreicht die Verkehrung ihrer bisherigen Situation in ihr Gegenteil. Die Erklärung fehlender Sonnenbräunung liegt demnach darin, dass sie in ihrem eigenen Weinberg nicht gearbeitet hat. Jedenfalls ist ihre Sonnenbräunung auf die Arbeit im Weinberg der Brüder zurückzuführen. Diese anekdotische Erzählung wurde von Exegeten als eine Aussage über ihre Situation und ihre Herkunft bewertet. Sie wäre eine Frau vom Land und nähme eine sozial niedrige Stellung ein. So stünde sie im Gegensatz zu den Töchtern Jerusalems, die städtisch verortet sind. Ausserdem wird impliziert, dass Stadtfrauen nicht sonnengebräunt sondern hellhäutig sind und eine höhere soziale Stellung einnehmen. Entsprechend führt Exum aus:
"Thus, by claiming to be black, and lovely, the woman may be challenging what she takes to be the view of the city women: that skin darkened by labour in the sun, a sign of lower social status, and beauty are not compatible." (Exum 2005:104).
Von alledem steht im Text jedoch nichts. Dieses gespannte, wenn nicht sogar negative Verhältnis zu den Töchtern Jerusalems fügt sich nicht in die sonst positive Rolle der Töchter Jerusalems mit denen sie einen wohlwollenden und intimen Umgang pflegt. Eine Zurückweisung der Töchter Jerusalems wäre einzigartig, so dass nach einer plausibleren Erklärung geschaut werden muss.
3. IRONIE
3.1Rhetorische Ironie
In der griechischen und römischen Antike wurden rhetorische und dramatische Ironie voneinander unterschieden (cf. Alonso Schökel 1988:157). Wenn der Leser Ironie aus den Handlungszusammenhängen erkennt oder Ironie seitens einer Figur wahrgenommen wird, so liegt dramatische Ironie vor. Wird Ironie von einer Figur geäussert, so liegt rhetorische Ironie vor (Klein 1989:197). Sie zielt darauf ab, dass Gegenteil dessen auszusagen, was intendiert ist, und zwar so, dass die Aussageabsicht erkennbar ist. Häufig ist sie mit einer Befehlsform verbunden.
Dramatische Ironie lässt eine Figur Aussagen treffen, welche sie nicht versteht oder dessen Implikationen sie nicht erfasst. Der ironische Effekt kann verstärkt werden, wenn die Figur als Travestie auftritt.
3.2 Ironie als Schlüssel zum Verständnis der Brüder-Weinbergerzählung
Da sich die Frau ihrer Schönheit rühmt, und dazu die Aufmerksamkeit der Töchter Jerusalems einfordert, gibt es keinen Grund hierin einen Makel zu sehen. Schwarz und attraktiv zu sein zeichnet sie aus. Dass sie dieses besonders hervorhebt, weist darauf hin, dass dieses ungewöhnlich ist. Wäre dieses die Sonnenbräune einer Weinbergarbeiterin, so wäre diese an sich nichts Ungewöhnliches, jedoch würde diese nicht als schön aufgefasst werden. Das Ungewöhnliche läge darin, dass die Frau ihre Bräune an einem Ort und in einer Situation als attraktiv verteidigen würde, wo dieses nicht dem Schönheitsideal entspricht, so dass für solch eine Interpretation eine Stadt-Land-, Landfrau-Stadtfrauen-Spannung angenommen werden müsste. Dieses konnte im Text jedoch nicht aufgezeigt werden.
Stattdessen tritt die Frau in einer überraschenden Wendung in die Travestie einer Weinbergarbeiterin. Sie, deren natürliche dunkle Hautfarbe keiner Erklärung bedarf, führt ihre dunkle Hautfarbe auf die Sonnenbräunung während der Arbeit im Weinberg zurück. Wenn die Frau jedoch keinen Sonnenbrand hatte, sondern natürlicherweise schwarz ist, wirkt die Begründung sie sei schwarz geworden, weil die Sonne sie verbrannt hat, als keine ernstzunehmende Aussage. Sie hat anekdotisch-humoristischen Charakter. Die Weinberg-Brüdererzählung kann deshalb nicht für eine ernsthafte Erklärung ihrer Hautfarbe herangezogen werden, wie dieses gemeinhin geschieht (z.B. Garrett 2004:133). Sie ist ironisch gemeint. Auf einer informativen Ebene hätte sie von einer ausländischen Herkunft berichten können, aber hier handelt es sich um Poesie und offensichtlich um Scherz.
In der diskursiven Dynamik zwischen der Aussage der Frau und den Töchtern Jerusalems, ist die Äusserung der Frau offensichtlich absurd gestaltet.10 Es ist offensichtlich, dass der Sonnenbrand nicht die wirkliche Begründung sein kann. Wenn ferner bedacht wird, dass es keinen Hinweis darauf gibt, dass die Frau vom Land stammt, sie aber wie die Töchter Jerusalems zum städtischen Umfeld zu zählen ist, so ist die Ironie umso stärker. Mit körperlicher Arbeit im Weinberg hat sie nichts zu tun.
3.3 Eine schwarze Frau im Umfeld Salomos
Ihre Selbstbeschreibung „schwarz und schön" zu sein, weist auf eine natürliche schwarze Hautfarbe hin.Wenn die Frau sich ihrer schwarzen Schönheit rühmt, so ist zu klären, wie schwarze Personen ansonsten wahrgenommen werden und inwiefern schwarze Frauen im Umfeld Salomos in Erscheinung treten. Eine generell negative Haltung gegenüber dunkelhäutigen Personen lässt sich hieraus nicht ableiten (cf. Num 12; Ex 2:21; Ex 18:2).
Im Rahmen eines salomonischen Kontexts, lässt sich wegen seiner Heirat mit der Tochter des Pharaos (1 Kö 3:1; 7:8; 9:16.24; 11:1; 2 Chr 8:11) an eine Ägypterin denken. Eine ägyptische Prinzessin wäre zwar von dunkler, aber nicht schwarzer Hautfarbe, so dass die besondere Hervorhebung ihrer Schwärze nicht zwingend wäre, aber dunkler und exotisch wäre sie allemal. Auch können in die Vorstellung der Tochter des Pharaos viel spätere Vorstellungen eingeflossen sein, insbesondere wenn an die 25. Dynastie in Ägypten (7. Jh. v. Chr.) gedacht wird, als die Pharaonen dunkelhäutige Kuschiten (Nubier) waren. Auch das ägyptische Lokalkolorit, in welchem die Frau mit einer Stute des Pharaos verglichen wird (1:9), sowie die vielen Bezüge zu einem ägyptischen Kontext, wie sie sich im Vokabular und der Verwandtschaft mit ägyptischen Liebesliedern zeigen (cf. White 1978, Fox 1985), unterstreichen dieses. Da das Hohelied in seiner Auslegungstradition mit Salomo verbunden ist und die Tochter des Pharaos unter den Frauen Salomos eine herausragende Stellung einnimmt, ist es ohne weiteres möglich, es als Liebeslied auf sie zu lesen. In diesem Interpretationsrahmen wäre eine tatsächliche Arbeit im Weinberg unakzeptabel, so dass es sich nur um Ironie handeln kann.11
Im Kontext Salomos ist es auch möglich an die Königin von Saba zu denken (1. Kö 10:1-13; 2 Chr 9:1-12), die mit exotischem Luxus ausgestattet war, der motivisch an das Hohelied erinnert, aber keine Stichwortverbindungen aufweist. Jedenfalls verbindet die spätere Tradition sie mit Äthiopien.
3.3.1 Schwarz und schön: umstrittene Schönheit
Die besondere Betonung von Schwärze und Schönheit wird durch die Wiederholung im Chiasmus deutlich (1:5.6). Während 1:5 dieses Schönheitsideal propagiert, wird in 1:6 durch die Anrede der Töchter Jerusalems eine Spannung kreiert. Sie werden aufgefordert wegzuschauen. Nach der Massgabe der rhetorischen Ironie, welche zum Gegenteil des Gesagten auffordert, kann davon ausgegangen werden, dass die Töchter Jerusalems sie nun ganz genau anschauen. Und sie sehen eine Frau, die nicht nur schwarz, sondern tiefschwarz ist. Sie spricht nicht von ihrer ausländischen Herkunft, obwohl diese implizit ist, sondern von ihrer ästhetischen Erscheinung.
Im Kontrast dazu steht ihre Schilderung der Brüder-, bzw. Weinbergszene. Durch die Schilderung der Weinbergszene und dem Hinweis auf das eigene Nichtbewahren des Weinbergs und die reziproke Antwort der Brüder, setzt die Frau sich selbst herab. Indem sie sich als von der Sonne verbrannt bezeichnet, verwendet sie eine Hyperbel, denn Sonnenbräune wurde nicht generell abschätzig beurteilt. So wie man im Deutschen davon spricht, dass jemand, der nicht weiss-bleich sondern rötlich-bräunlich ist, eine gesunde Gesichtsfarbe habe, so wird auch David als ein gutaussehender Mann mit schönen Augen und einer rötlichen, also wohl sonnengebräunten Haut, geschildert (1. Sam 16:12; vgl. 1 Sam 17:42). Diese Hautfarbe steht damit zumindest bei Männern für Vitalität und Schönheit. Und entspricht der Stereotype der Schönheit für den Mann mit glänzend rötlicher Hautfarbe (5:10; Klgl 4:7; cf. Schwienhorst-Schönberger 2015:42).
Der Mann sticht durch seine äussere Erscheinung offensichtlich positiv hervor. Jedoch geht es bei ihm nicht so sehr um Schönheit als vielmehr um Vitalität. Sein schwarzes Haar steht für die Jugend, sein Vollbart macht ihn zu einem Erwachsenen und seine klaren Augen weisen auf Gesundheit hin. Seine Statur ist kraftvoll und seine Küsse begehrenswert. Die Beschreibung geht in die einer wertvollen Statue über, so dass sich kein Schönheitsideal daraus ableiten lässt (5:9-16). Sie nun bei einer Frau generell negativ zu bewerten, ist kaum überzeugend zu begründen.
3.3.2 Weitere ironische Bezugnahmen
1. 1:6a kennt zwei Verben des Schauens. Es sind nicht nur die Töchter Jerusalems, sondern auch die Sonne, die sie anschaut.12 Die personifizierte Sonne bewirkt durch ihr intensives Schauen die Schwärze der Frau, sie ist tief sonnengebräunt. Sprachlich wird dieses dadurch verstärkt, dass Hebräisches „verbrennen" und „anschauen" lautlich dicht beieinander liegen, da letzteres auf Aramäisch „verbrennen" (Exum 2005:99) bedeutet und die Konsonanten Dalet und Zayin zwischen diesen Sprachen häufig ausgetauscht werden. Der Übergang vom durch die Sonne angeschaut und verbrannt zu werden ist fliessend. LXX übersetzt mit παρέβλεψέν „von der Seite anschauen", welches jedoch auch „übersehen, nicht beachten" heisst. Ersteres lässt an die Sonneneinstrahlung denken, letzteres schreibt der Sonne die Schuld zu. Weil die Sonne nicht auf die Frau achtete wurde sie schwarz gebrannt.13 In beiden Sprachen klingt Ironie an, da die Sonne als Verursacherin ausgemacht wird, so dass die Frau nichts für ihre Schwärze kann. Die Sonne hat die Frau zu sehr angeschaut oder eben beim Anschauen übersehen, jedenfalls war sie der Sonne zu lange ausgesetzt. Diese Erklärung ihrer Hautfarbe ist offensichtlich fadenscheinig und wird durch die Intensivform „ich bin tiefschwarz" noch verstärkt und dient ebenfalls der Übertreibung.
2. Der Zorn der Brüder wird mit „mit mir waren sie zornentbrannt" beschrieben. Dazu wird ein Wort gewählt, welches ebenfalls aus dem Wortfeld Hitze stammt, da wörtlich „heiss werden" bedeutet und zu einer verblassten Metapher geworden ist.14 Dass eine Frau als Wächterin im Weinberg der Brüder arbeitet scheint auf den ersten Blick als familiäre Tätigkeit nichts Besonderes zu sein. Bei genauerem Hinsehen ist es jedoch ungewöhnlich, da dieses ein Ort der Gefährdung der Frau ist (cf. 2:15). Wenn dieses nun auf den Zorn der Brüder zurückgeführt wird, so wäre es keine Schutzaussage, sondern eher ein strafendes Dahingeben. Die nachfolgende Aussage der Frau „Meinen eigenen Weinberg habe ich nicht behütet", wird nicht begründend mit „denn" angeschlossen, sondern es folgt ein neuer eigenständiger Satz, in welchem das Verb nicht zwingend im Perfekt auf vergangenes bezogen sein muss, sondern wie in 1:4 („Wir wollen jubeln"), den opponierenden Vorsatz bezeichnet (cf. Barbiero 2011:63). Dass sie bei der Weinbergarbeit sonnengebräunt wurde ist selbstverständlich und gilt für jeden Weinberg, ihren eigenen wie den der Brüder, so dass ein strafhaltendes Versetzen in einen anderen Weinberg keine Begründung sein kann und innerhalb des Verses beim Begriff „Weinberg" den Wechsel von einer Metapher zu einem literalen Verständnis verlangt.
Übertreibung und die Herabsetzung ihrer Person bilden einen Gegensatz. Hier handelt es sich um rhetorische Ironie. Indem sie das Strafhandeln der Brüder proklamiert, aber an ihrer Attraktivität unwidersprochen festhält, wird diese durch deren Handlung nicht gemindert. Im Gegenteil, auch wenn sie durch die dem hitzigen Zorn der Brüder von der Sonne verbrannt worden wäre, so hätte dieses ihre Schönheit nur vermehrt (cf. Jenson 2005:20).
4. IRONIE ALS SCHLÜSSEL ZUM VERSTÄNDNIS DER SZENE
Die Szene erschliesst sich durch die Wahrnehmung der Trope der Ironie einem besseren Verständnis. Es finden sich sowohl verbale Ironie als auch situative Ironie, die beiden gebräuchlichsten Arten der Ironie (cf. Muecke 1969:42).
Erstere wurde in verschiedenen Wortspielen deutlich bei denen eine literale und eine figurative Interpretation nicht eindeutig getrennt waren. Auch die Variation von Wortfeldern, die auf dem Sinnpotential eines Wortes und den ausgelösten Assoziationen beruht, kann hier zugerechnet werden. So klingt bei den Decken Salomos auch der Stamm Salmah an, welcher parallel zu Kedar steht, so dass der Parallelismus auf zwei verschiedene Weisen gelesen werden kann (s.o.) und der beduinisch-ländliche Raum mit dem Königshof verbunden wird (1:5).
Die Szene im Weinberg gehört ebenso zur situativen Ironie. Die verschiedenen Verben des Schauens und die Personifikation der Sonne, welche zu lange hinschaut, hat eine Situationskomik (1:6), welche eine brenzlige Situation auf überraschende Weise löst, wie Landis treffend ausführt:
A joke is essentially a harmless release of dangerous emotion; it is cathartic. If all ends well, one might experience comic relief. (Landy 1990:105).
Nach anfänglichem Staunen über den geschilderten Sachverhalt, der beim Leser Zustimmung oder Ablehnung auslöst, kippt dieses. Die offensichtlich fadenscheinige Erklärung ihrer Schwärze durch Sonneneinstrahlung löst Verblüffung aus. Die Hyperbel tiefschwarz zu sein verstärkt diese. So werden die Oppositionen zum Kippen gebracht und es wird die Komik der Situation wahrgenommen. Iser spricht vom Kipp-Phänomen (cf. Iser 1976:398-402).
Wenn das Hohelied aus der Zeit des Hellenismus stammen sollte, so fügt sich diese Sichtweise zur Schilderung von Theokritos, der eine geliebte Frau beschreibt, die dunkelhäutig, zwar nicht schwarz, sondern honig-gelb ist. Sie wird als von der Sonne verbrannte Syrerin abgewertet (Theocritus, Idyll 10,26-29). Die Frau im Hohelied würde in die Travestie -einem in der Ironie verbreiteten Phänomen - solch einer Frau schlüpfen und sich so ambig abwerten, um ihre Schönheit hervorzuheben.
Die Ironie ist eine Trope der Unentscheidbarkeit, die dazu führt, dass eine „an den figuralen Sprachstrukturen orientierte 'rhetorische' Lektüre mit der Unmöglichkeit konfrontiert wird, eine Einheit und Sinntotalität des Textes zu ermitteln." (Pross/Wildgruber 2005:429). So ist die BrüderWeinbergszene von einer bildhaften Sprache geprägt, die durch ihre Wortspiele im Wortfeld Hitze, Sonne, verbrennen, tiefschwarz werden, und die Personifikation der Sonne, eine Alltagsbegebenheit, nämlich im Weinberg mitzuarbeiten, dramatisiert. Als Erklärung für ihre Schwärze ist dieses scherzhaft.
Andererseits kommt hier eine weitere Opposition zur Sprache, die jedoch nicht als Ironie sondern als Konflikt geschildert wird. Ironie und Konflikt unterscheiden sich in ihrem Verhältnis zur Zeit (cf. Klein 1989:195). Die Ironie des Sonnenbrandes wird unmittelbar nach der Äusserung wahrgenommen, während der Konflikt mit den Brüdern auf Narrativität und zeitlicher Entwicklung beruht. Dort, wo die zweite Brüdererzählung (8:8-12) mit einbezogen wird, führt das Nichtwahrnehmen des zeitlichen Verlaufs einerseits zum Konflikt und andererseits durch die bildhafte Schilderung zur situativen Ironie: Während die Brüder davon sprechen, dass ihre Schwester noch keine Brüste hat, preist sie diese übertreibend in einem grotesken Bild an: „Ich bin eine Mauer und meine Brüste sind wie Türme." (8,10). Mit der Mauer nimmt sie das Keuschheits- und Schutzbild der Brüder auf und wendet es in ein Bild ihrer Autonomie, da sie nicht wehrhaft bleibt, sondern sich ergibt, zu jemand wird, „die Frieden herausbringt" (8,10). Hier liegt ebenfalls das Kipp-Phänomen vor: Die Erwartungen des Lesers und der Gegenstand der Komik kollidieren so, dass der komische Gegenstand, in diesem Fall die Frau, die eine Mauer ist und Brüste hat, die wie Türme sind, ohne Opposition dastehen.
Auch die Weiterführung des Weinbergmotivs (8:11.12) in einer Anekdote über Salomos Weinberg in Baal Hamon führt zu einem Kontrast. Nun hat die Frau wieder ihren eigenen Weinberg. Salomo kann über diesen nicht verfügen. Diese Grenze von Salomos Zugriffsmöglichkeit lässt insbesondere bei einer metaphorischen Verwendung des Weinbergs, ihr anfängliches Lob auf die Zeltdecken Salomos (1:5) in einem anderen Licht erscheinen.
5. FAZIT
Es hat sich gezeigt, dass eine ironische Interpretation von 1:5.6 angemessen ist. Diese Stanza enthält einen Plot, der als szenische Erzählung aufgefasst werden kann. In dieser erscheint die Frau als eine Frau mit natürlicher schwarzer Hautfarbe. Ihr Selbstruhm „schwarz bin ich und schön" macht zwei positive Aussagen und ist nicht adversativ aufzufassen. Sie ist in beiderlei Hinsicht die Schönste unter den Frauen. Die häufige Interpretation, die Frau sei durch eine von ihren Brüdern verordnete Strafarbeit sonnengebräunt worden, beruht auf mehreren nicht zwingenden und widersprüchlichen Annahmen. Wenn hingegen in der Anekdote die situative und rhetorische Ironie erkannt wird, so wird ihre Sonnenbräunung im Weinberg als scherzhafte, ironische Erklärung plausibel. Der Effekt wird verstärkt, wenn die Frau im Hohelied mit der Tochter des Pharaos assoziiert wird. Die getroffene Wortwahl und die zweite Brüdererzählung sind ebenfalls mit Ironie gespickt, so dass Oppositionen zum Kippen gebracht und die Komik der Situation wahrgenommen wird.
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1 This article is the extended version of the paper "Black I am and beautiful - Rhetorical irony in Song of Songs 1:5-6." read at the 22nd conference of the International Organization for the Study of the Old Testament, Stellenbosch on the 8th of September 2016. With this I honour my colleague and friend Fanie Snyman, whom I know as a diligent academic with a good sense of humour.
2 Konsequenterweise wäre anzunehmen, dass ihre Brüder auch schwarz sind. Für die Handlung ist dieses jedoch bedeutungslos, so dass dieses nirgends imaginiert wird.
3 Als Brüder ihrer Mutter waren sie leibliche Brüder. Mit der verwandtschaftlichen Beziehung ging die Vorordnung der Brüder gegenüber ihrer Schwester einher, wie sich im Bereich der Sexualität zeigt, wo die Brüder auf die Keuschheit ihrer Schwester abzielen (8:8-10).
4 Nach de Regt (1999:291) ist direkte Rede eher selten, zumindest in späthebräischer Prosa.
5 Clines (DCH 1,149): "desire, yearn for".
6 Subjekt und Prädikat werden mit Schneider als das Bekannte und das Neue definiert. Schneider (1978: §44.3 und 44.3.1.2).
7 Meistens wird der Begriff für die Zeltdecken der Stiftshütte verwendet (Ex. 26.1-9; Ex. 36:8-16; Num 4:25; 1. Chr 17:1) oder er steht parallel zu Zelten (Hld 1:5; Jes 54:2; Jer 4:20; 10:10; Hab 3:7; vgl. Jer 49:29).
8 Muraoka 1985:124 argumentiert aus inhaltlichen Gründen gegen eine emphatische Übersetzung. Wenn jedoch Ironie vorliegt ist die Emphase verständlich.
9 Die Annahme die Weinberge der Brüder seien die jüngeren Schwestern der Frau (Bartelmus 2015:30) hat die Stärke keinen Metaphernwechsel vornehmen zu müssen, lässt aber die nachfolgende Erklärung der Schwärze unverständlich erscheinen.
10 „Ironie entsteht, wenn der Sprecher seine Äusserung so gestaltet, dass sie offensichtlich gegen die Maxime der Wahrhaftigkeit verstösst." (Wirth 2017:19).
11 Ironie ist „am ehesten erfolgreich, wenn sie evident gegen die von den Gesprächspartnern geteilte Hintergrundinformation verstösst, wenn es offensichtlich ist, dass die Äusserung aufgrund des Kontextes unakzeptabel ist." (Lapp 1992:147).
12 I "look upon". Die Personifizierung der Sonne erübrigt die Annahme einer Wurzel "make brown, tan, burn". Vgl. Clines DCH 8,315.
13 Vgl. Kraus/Karrer (2009:1000 Anm. 1,6a), die als wörtliche Übersetzung der LXX angeben: „übersah mich/achtete nicht auf mich (und verbrannte mich dadurch)", so dass eine übertragene Bedeutung angenommen werden muss: „Die Sonne hat nicht auf mich achtgegeben und mich dadurch verbrannt." (Kraus/Karrer 2011:2034).
14 Eine Herleitung von enthielte ebenso einen Bezug zu Hitze und Brennen. Vgl. Hopf (2016:79, Anm. 11).